Was ist Unsichtbares Theater: Nun stelle dir eine Person mit dunkler Hautfarbe vor, die in der U-Bahn sitzt. Auf einmal kommt ein Passant auf sie zu. Der Meinung ist der Meinung, die Frau müsse für ihn aufstehen, damit er sich hinsetzten könne. Denn Sie hätte als Ausländerin kein Anrecht auf diesen Platz.
Wie würdest du hier Reagieren? Würdest du schweigen? Dich für die Frau einsetzten? Was würdest du tun? Genau dieser Frage geht das Unsichtbare Theater nach. Denn der Vorfall mit der Frau und dem Passanten ist Unsichtbares Theater. Ein Theaterstück das auf Unterdrückung aufmerksam macht.
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Theater der Unterdrückten
Unsichtbares Theater ist eines der schwierigsten Theaterformen des „Theater der Unterdrückten“. Entwickelt wurde es von Augusto Boal und ist damit ein Teil der Reihe des „Theater der Unterdrückten“. Unsichtbares Theater zeigt auf eine subtile Art die strukturierte Deutung der Realität und Unterdrückung auf. Die Zuschauer sind gleichzeitig Zuschauer und Schauspieler, ohne dies zu wissen.
Augusto Boal war Regisseur und gilt als einer der Urväter der Theaterpädagogik. Mit seinem Theater der Unterdrückten hat er gleich mehrere Theatertechniken erarbeitet, die ich in einer Themenreihe näher erläutere.
Themen der Reihe sind:
In diesem Beitrag stelle ich das Unsichtbare Theater vor.
Das Unsichtbare Theater
Beim Unsichtbaren Theater spielen Schauspieler ein kleines Theaterstück mitten in der Öffentlichkeit. Dabei wird nie enthüllt, dass es sich um Theater handelt. Wie in der U-Bahn-Szene – Zu Beginn dieses Textes – spielen Schauspieler auf einen öffentlichen Platz eine Szene. Die Szene stellt eine reale oder fiktive Alltagssituation wieder. Gleichzeitig ermutigen die Schauspieler andere Passanten sich an der Diskussion zu beteiligen.
Wie im Forumtheater werden die Zuschauer wieder zu Zuschauspielern und damit zu handelnden Akteuren. Gleichzeitig ist dem Zuschauer nie klar, dass er Teil einer Theaterszene war.
Im Folgenden gehe ich darauf ein, wie das Unsichtbare Theater durchgeführt werden kann.
Photo by Alexis Brown on UnsplashDas allgemeine Konzept des Unsichtbaren Theaters
Wie schon angesprochen wissen die Zuschauer zu keinem Zeitpunkt, dass sie gerade ein Theaterstück sehen. Wie im Forumtheater ist es ihnen möglich in das Geschehen einzugreifen. Durch die komplette Auflösung der Bühne und des Zuschauerraumes agiert der Zuschauer auf Augenhöhe mit dem Schauspieler. Eine Einschränkung durch einen Joker, oder dem Schauspieler, wie es im Forumtheater möglich ist, findet nicht statt.
Wie auch im Forumtheater, werden im Unsichtbaren Theater gesellschaftlich Relevante Themen angesprochen, die dem Zuschauern Bekannt sind, weshalb er eine Meinung zum Thema hat. Dadurch ist er in der Lage sich überhaupt einzumischen. Prinzipiell kann jeder öffentliche Schauplatz zur Bühne werden.

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Unsichtbares Theater ist Kunst
Unsichtbares Theater ist Kunst, da es eine bestimmte Erkenntnis der Wirklichkeit sinnlich ausdrückt. Die Handlung verfolgt ein bestimmtes Ziel. Ein Thema, eine Unterdrückung steht im Mittelpunkt. Während das Thema dieser Theaterform durchaus Gewallt sein kann, findet nie eine gewaltvolle oder aggressive Handlung statt. Eher im Gegenteil, im absoluten Grenzfall handeln die Schauspieler beschwichtigend und deeskalierend. Immer mit dem Fokus auf das eine Ziel, die eine Unterdrückung, die im Mittelpunkt des eigentlichen Theaterstücks steht.

Wie plane ich ein solches Theater
Es gibt drei Punkte, die bei der Planung beachtet werden müssen. (1) Der Spielort, (2) das zentrale Thema und die (3) Die Fähigkeiten der Schauspieler.
Der Spielort
Der Ort muss genau geplant werden. Ein Idealer Ort sind Busse, Bahnen oder Ähnliches. Da die Menschen hier für eine Zeit sich aufhalten und so zu sagen sich nicht dem Geschehen entziehen können. Hier sind auch meistens viele Menschen, ein weiterer Punkt, der wichtig ist. Gleichzeitig gilt hier, dass der Aufenthalt nicht sehr lange ist. Das Stück muss also an die reguläre Verweildauer angepasst werden. In der Regel dauert ein Stück nur wenige Minuten. Es kann aber auch schnell und unverhofft länger dauern. Nämlich dann, wenn die Passanten eine rege Diskussion führen.
Das zentrale Thema
Das Thema muss gesellschaftliche Relevanz haben, damit die Passanten teilnehmen können. Die Frage ist, was bewegt die menschen vor Ort. Meistens sind örtliche Themen viel relevanter für die Menschen, als die großen Globalen Geschehnisse. Weiterhin ist es wichtig, dass die Schauspieler das Thema durchdrungen haben und sich auskennen.
Die Fähigkeiten der Schauspieler
Die Schauspieler müssen über ein gute Improvisation verfügen. Damit meine ich nicht nur Improvisation im Schauspiel, sondern auch im Allgemeinen. Da das Unsichtbare Theater in der Öffentlichkeit, ohne Wissen der Beteiligten stattfindet, sind Unvorhersehbarkeit gewissermaßen vorprogrammiert. Innerhalb dieser Unvorhersehbarkeit müssen die Schauspieler gut improvisieren können. Das macht das Spielen so schwierig.
Gleichzeitig darf den Schauspielern nicht angesehen werden, dass es sich um ein Schauspiel handelt. Schauspielmethoden von Stanislaws und anderen Schauspieltheoretikern verhelfen den Spielern in jeder Situation in der Rolle zu bleiben.
Als dritter Punkt zählt die Gesprächsführung. Die Schauspieler müssen gut darin geübt sein, die Passanten in ein Gespräch zu verwickeln und Gesprächsangebote an die Zuschauspieler zu richten.
Photo by Ann Fossa on UnsplashDie Durchführung und Praxis
Für die Durchführung und Praxis gibt es zwei wesentliche Punkte: Die Einleitung und die Einbindung der Passanten (Zuschauspieler).
Die Einleitung des Theaterstücks
Um Unsichtbares Theater spielen zu können, muss der Ort so „präpariert“ werden, dass die Bedingungen optimal sind. Hierzu zählt zum Beispiel, das mögliche Störgeräusche gedämmt werden. Beispielsweise können die Fenster in der U-Bahn geschlossen werden, damit die Akustik nicht zu laut ist und die Gespräche zuhören sind.
Darüber hinaus müssen die Schauspieler die Aufmerksamkeit auf sich lenken. Lautes sprechen und ein auffälliges Verhalten ist hier von Vorteil. Es ist nicht wie im klassischen Theaterstück, dass die Schauspieler direkt von Anfang an Aufmerksamkeit bekommen. Viel mehr müssen sie sich diese selbst erarbeiten. Eine laute Gesprächsführung ist nützlich, damit die Zuschauspieler auch der Handlung folgenden können.
Die Einbindung der Passanten (Zuschauspieler)
Damit die Zuschauspieler sich am Thema beteiligen, müssen sie die Handlung des Themas verstehen. Neben dem schon erwähnten lauten Sprechen und der Akustik, hilft hier unter anderem eine Zusammenfassung des Gesagten. So kann ein Schauspieler sich mit einem anderen über die Handlung unterhalten und diese mit seinen Worten nochmals wiedergeben.
Hilfreich ist auch die Zuschauspieler in ein Gespräch zu verwickeln. Sie sollen nicht zur Äußerung gedrängt werden. Aussagen wie: „haben sie das gehört…“, oder „schauen sie nur was da passiert…“ reichen schon aus. Wir erschaffen so ein Angebot.
Damit werden die Zuschauspieler auf das Gespräch aufmerksam gemacht und gleichzeitig zum Einmischen eingeladen.
Photo by Kelly Sikkema on UnsplashFazit
Unsichtbares Theater ist eine schwierige Form des „Theater der Unterdrückten“. Der Vorteil ist, dass die Reaktionen der Zuschauspieler echt und real sind. Sie sind nicht gespielt, da sie sich nicht bewusst sind, dass es hier um eine fiktive Handlung geht.
Jedoch muss bedacht werden, dass Unsichtbares Theater nicht alles kann. Eine Gesellschaftliche Veränderung ist mit dieser Theaterform nicht möglich. Was aber möglich ist, ist die Zuschauer zum Nachdenken anzuregen.
Gleichzeitig ist es keine Form, die einfach zu spielen ist. Es bedarf viel Geschick und Mut der Schauspieler*innen, um Unsichtbares Theater zu spielen. Die Schauspieler*innen müssen schon in Schauspieltechniken geübt sein und gut improvisieren können. Was alles geplant werden muss, spreche ich im Punkt „wie plane ich ein solches Theater“ an.
Während des Stücks werden die Passanten nicht zur Teilnahme verpflichtet oder zum Mitmachen verleitet. Es findet lediglich eine Anregung ein Angebot statt, sich an der Diskussion zu beteiligen. Darüber hinaus werden die Beteiligten nicht lächerlich gemacht, oder angeregt etwas von sich preiszugeben, dass sie nicht wollen.
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